Zwischen dem 9. und dem 15. Juni wurde unser Seeschiff MILONGA nach Riga in Lettland überführt, damit der Sommertörn in den Gewässern Estlands, Finnlands, Schwedens und Dänemarks pünktlich starten konnte.
Am Samstagnachmittag traf sich dazu die Crew, bestehend aus den Aktiven Michael, Sebastian und Carlos sowie den Gästen Ruben und Patrick (zwei Segelkameraden von Michael) in Travemünde. Niklas (auch ein Aktiver) sollte am nächsten Tag in Warnemünde dazustoßen, da er noch auf der „Ærø Rund“-Regatta unterwegs war. Bevor es losgehen konnte, galt es zunächst Proviant mit dem Ziel eines möglichst guten Trimms zu stauen. Schließlich konnten wir nicht sicher davon ausgehen, zwischen Warnemünde und Riga noch einmal an Land, geschweige denn in einen Lebensmittelladen zu kommen.
Der Blick auf die Karte verriet: unsere Strecke nach Riga wird weit, verdammt weit sogar für eine Woche! Da der Wind zunächst aus Osten kam, gab es keine Zeit zu verlieren. Noch am Samstagabend lief MILONGA aus Travemünde aus. Der Plan war von Anfang an darauf ausgelegt, im 3er-Wachsystem (vier Stunden Wache, gefolgt von acht Stunden Freiwache) zu segeln. Wenn es sein musste, auch bis nach Riga ohne Pause. Dabei haben wir immer zwei Stunden versetzt ein Crewmitglied gewechselt, sodass es immer mindestens einen an Deck gab, der sich schon zwei Stunden mit der aktuellen Situation auseinandergesetzt hatte. Nach einer anstrengenden Nacht auf der Kreuz erreichten wir Warnemünde am Sonntagnachmittag. Dieser kurze Abschnitt sollte ein Vorgeschmack sein auf das, was in den kommenden Tagen auf die junge Crew wartete. In Warnemünde hieß es nochmal duschen und im Hafen essen, solange das noch ging. Nachdem Niklas am Abend auf der Pier stand, liefen wir schon wieder aus. Noch bevor er alle seine Sachen verstauen konnte, ging die letzte Leine an Bord. Der Wind stand gut und da wir immer noch über 500 Meilen nach Riga vor uns hatten, musste er ausgenutzt werden!
Kurs 060 und wir kamen gut voran. Am nächsten Morgen hatten wir vor Rügen um 0500 eine Begegnung mit dem russischen Segelschulschiff MIR, ein imposanter Gruß aus Sankt Petersburg und eine Erinnerung an frühere Zeiten, in denen Segelschiffe die Welt versorgten. Der Wind frischte weiter auf und kam aus Nord-West, sodass wir bei rund 1,5 bis 2 m achterlicher See unter Deck ordentlich durchgeschüttelt wurden! Dies sollte sich bis Öland nicht mehr ändern. Das Leben unter Deck und besonders das Kochen stellten uns somit vor einige kleine Herausforderungen. Latente Übelkeit stellte sich hin und wieder ein, konnte mit aktivem Segeln und Ingwertee allerdings gut unter Kontrolle gehalten werden. Die eine oder andere Beule ist in dieser Zeit auch entstanden, natürlich nicht am Boot, eher an Köpfen und Gliedmaßen.
Während der Reise haben wir mindestens eine Mahlzeit am Tag trotz des Wachsystems zusammen gegessen, das war meistens das Abendessen. Ein wichtiges Zeremoniell, das wir nutzten, um uns alle satt zu bekommen, aber auch, um uns auszutauschen und auf einen Stand zu bringen. Während wir am Montagabend gerade alle zusammen aßen, tauchten hinter uns im Abendlicht einige große, recht bedrohliche Wolken auf. Über Land schien es stark zu regnen. Es sollte eine unruhige Nacht werden… Das Besondere an der Situation lag auch darin, dass man ein Stück weit gegen den eigenen Instinkt handeln musste. Statt an Deck zu gehen und mit anzupacken, ging es in der Freiwache zwingend darum zu schlafen, um den Körper zu schonen, der für die eigene Wache fit sein musste. Darauf hat sich schließlich der Rest der Crew verlassen. Bei raumem Wind und 2 Meter Welle von achtern war höchste Konzentration gefordert. Mit 12,8 Knoten auf der Logge wurde der Rekord des Törns früh gesetzt. MILONGA schoss und surfte durch die Nacht.
Am Dienstagmorgen erreichten wir Öland. Im Schutz der Insel erreichten wir pünktlich zur 0400-Wache somit das erste Mal seit Warnemünde wieder ruhigeres Gewässer und das Leben unter Deck wurde deutlich angenehmer. Wir wollten nun mit halbem Wind zwischen Öland und Gotland nach Norden segeln, um uns dort eine Nacht in einem Hafen auszuruhen. Dieser Plan sollte jedoch nicht aufgehen. Schon bald drehte der Wind, früher als vorhergesagt, immer mehr auf Nord. Wir reagierten schnell und drehten nach Osten ab. So segelten wir nun Richtung Südspitze Gotland. Diese Entscheidung erwies sich als goldrichtig, denn es blieb beim Nordwind. Wir machten also Strecke gen Riga, anstatt zwischen Öland und Gotland gen Norden kreuzen zu müssen.
Am Nachmittag erreichten wir Südgotland. An zwei Tagen hatten wir knapp 300 Seemeilen geschafft, also ein Etmal von 150 nm pro Tag! Damit war eine Pause verdient. Wir steuerten den kleinen Hafen Vändburg an, der an der Südspitze Gotlands mitten im Nichts liegt. Je näher wir dem Hafen kamen, desto ausgelassener wurde die Stimmung. Höhepunkt des Tages auf See war ein von mehreren Männern gesichteter „fliegender Pinguin“ – es war definitiv Zeit für eine Pause! Die letzten Tage hatten ihren Tribut gefordert und so freuten sich alle auf eine Dusche, einen Spaziergang, ein Hafenbier und besonders darauf, einmal in Ruhe durchzuschlafen.
In Vändburg waren wir neben einem verwaisten Seenotrettungsboot unter uns. Der nächste Ort war über vier Kilometer entfernt. Also ließen wir es uns mit spanischem Käse und Schinken sowie edlem Portwein gutgehen. Patrick hatte in Madrid ein wenig für uns eingekauft. Nach einem Bad in der kalten Ostsee und einem Bier an der Felsküste fielen wir erschöpft in unsere Kojen.
Am nächsten Morgen war wieder Aufbruch angesagt. Vor uns lagen noch über 200 Seemeilen bis Riga. Der Wind war uns nun allerdings nicht mehr so wohlgesonnen. Bei Wind aus Osten wurde MILONGA direkt auf die Kreuz geschickt. Da der Wind jedoch die zwölf Knoten nicht mehr überschreiten sollte, war dieser Törnabschnitt wesentlich entspannter als der erste. Dafür kam es jetzt auf andere Dinge an. Nachdem wir schon in der Nacht einige Begegnungen mit Frachtern hatten, war der Höhepunkt eine Begegnung mit einem Gastanker am nächsten Morgen. Optisch und auf dem AIS war früh zu erkennen, dass der Tanker uns recht nahe kommen würde. Mitten auf der Ostsee fern von jeglichen Verkehrstrennungsgebieten oder ähnlichem, behielten wir unseren Kurs entsprechend bei. Der Tanker wollte uns entweder die Vorfahrt nehmen oder er hatte uns trotz Einsatz des aktiven Radarreflektors nicht auf dem Schirm. Schließlich musste unser Skipper geweckt werden, um das Schiff über VHF anzurufen. Erst nach dem zweiten Funkspruch reagierte die Crew, dafür allerdings sehr entschlossen und sie drehten. Das war auch nötig, zu diesem Zeitpunkt waren wir laut AIS noch sechs Minuten von einer sehr nahen Begegnung entfernt. Das AIS war hier neben der optischen Beobachtung hilfreich, um früh die Situation zu beurteilen und den Kontakt zu identifizieren. Das zeigte uns: Auch mitten auf dem Meer können sich große Schiffe gefährlich nähern.
MILONGA näherte sich nun dem Eingang zum Rigaischen Meerbusen. Mittlerweile hatte der Wind immer weiter abgeflaut. Trotzdem nutzten wir den Motor nur zum Laden der Batterie, wir wollten Riga so gut wie möglich unter Segeln erreichen. Da die See nun weitgehend ruhig war, wurde das Leben auf und unter Deck immer entspannter. Während unten tief und fest geschlafen wurde, haben sich auf dem Vordeck wilde Dusch-Szenen abgespielt, die Sebastian, eine Pütz und kaltes Meerwasser involvierten. Am Donnerstagabend erreichten wir schließlich die Einfahrt zum Rigaischen Meerbusen. Die Zentrale Ostsee verabschiedete uns mit einem imposanten Sonnenuntergang. Kurz danach hatten wir noch eine Begegnung mit einer Fähre, diesmal durfte Carlos unsere Bitte um einen sicheren Passierabstand funken. Die Antwort war mürrisch, aber immerhin hatte man uns wohl auf den Schirm…
Der letzte Tag auf See brach an und wir näherten uns langsam aber sicher dem Ziel. Ab Mittag flaute der Wind stark ab und wir glitten durch die spiegelglatte See. Die Stimmung wurde nun immer gelöster; Wir hatten es fast geschafft! Die Industrieschornsteine Rigas tauchten am Horizont auf und 100 Chuck Norris Witze taten ihr übriges, um die Stimmung unserer Männertruppe auf den Höchststand zu bringen!
Die Einfahrt in den Hafen gegen frühen Abend gestaltete sich bei bestem Wetter relativ entspannt. Ein paar Segler und größere Schiffe boten neben dem Industriehafen und der Innenstadt von Riga eine tolle Kulisse für einen Zieleinlauf, der sich sehen lassen konnte! 616 Seemeilen von Travemünde nach Riga in sechs Tagen sind für jeden von uns persönlicher Rekord. Unsere Stimmung war immer gut und wir haben zu jeder Zeit zusammen als Mannschaft agiert. Wir haben unser Ziel erreicht und trotz der nötigen Strapazen hatten wir einen tollen Törn!
Wir danken dem Verein für das entgegengebrachte Vertrauen in diese Aktion und wünschen einen tollen Sommertörn 2018!
Autoren: Niklas Keller und Michael Gräßel
Bilder: Niklas Keller (größtenteils)
[ape-gallery 4358]